Was wollen wir? Dass sich die Lernenden nach der Schule frei in der Fremdsprache ausdrücken und Gespräche moderieren können! Wie machen wir das? Mit Frage-Antwort-Spielchen und gelenkten Unterrichtsgesprächen... Äh, vielleicht doch besser anders? Ich hätte gern angeregte Diskussionen in der Oberstufe aber in der Praxis muss ich eher für gute Redebeiträge Zähne ziehen. Dann hörte ich von der Diskussionsmethode "Harkness". Fast ausschließlich OHNE Lehrkraft diskutieren? In der Fremdsprache? Ohne Melden? Geht das? Musste ich natürlich gleich ausprobieren. Hier meine Anleitung und mein Erfahrungsbericht von drei Durchgängen in zwei Klassen:
Was sind die Regeln?
Eigentlich ist es für Gruppen mit ca. 8-12 Personen vorgesehen aber meine zwei kleinen Oberstufenkurse (ca. 18 anwesend) schafften es super als ganze Klasse. Sonst hätte ich zwei Gruppen gebildet.
Die Regeln von Harkness sind bestechend einfach:
- die Lernenden sollten vorbereitet sein, also etwas haben, über das sie sprechen oder diskutieren können
- es sollte eine Reihe an Fragen geben, mit denen sie starten können.
- sie sitzen so, dass sich alle sehen können
- sie melden sich NICHT
- die Lehrkraft nimmt nicht dran und ist außerhalb des Kreises. Sie erinnert nur an Regeln oder Fragen, bricht notfalls ab und HÄLT SICH ANSONSTEN RAUS.
- Die Lernenden reagieren also einfach respektvoll aufeinander
Reden dann nicht dauernd Leute gleichzeitig los? Nein, ist bei uns nicht vorgekommen.
Die Vorbereitung der Diskussion beim ersten Mal
Zunächst einmal erzählte ich der Klasse von meinem Traum: einer Diskussion ohne mich! Ich sagte, dass ich ihnen zutraue, allein und ohne melden zu diskutieren.
Dann zeigte ich Ausschnitte eines Videos über Harkness.
Ich versprach beim ersten Mal NICHT ZU BEWERTEN.
Ich wollte gerne, dass sie diskutieren, ob wir unsere Klausurersatzleistung auf das Buch verwenden, und wenn ja, wie. Außerdem wollte ich von ihnen wissen, was ihnen bei Lektürearbeit besonders Spaß macht.
Danach warf ich eine Folie an, die während der Diskussion an der Tafel blieb. Dort hatte ich Folgendes notiert:
- "Language help",
- die nötigen Infos
- die wichtigste Leitfrage
- so wie die wichtigsten Grundregeln
Hier seht ihr die Folie. Äh, ja, ich mag es gern bunt...
Dann bildeten wir den Kreis und es ging los.
Und wie ist die Diskussion gelaufen?
Es lief SUUUUPER! Es war so beeindruckend zu sehen, wie meine E-Phase (10.Klasse) ganz allein diskutierte. Ich musste nur drei Mal daran erinnern, dass sie bitte auch die Stillen mit auffordern, sich zu beteiligen und sie regelrecht einladen und ansprechen sollten. Außerdem musste ich eine Schülerin daran erinnern sich an die Regel "listen with a kind ear" zu erinnern und höflich zu antworten. Zwei Schülerinnen musste ich daran erinnern, nicht alle Fragen gleich als erstes selbst zu beantworten, sondern auch Raum für andere zu lassen. Sonst war es ein Selbstläufer für mehr als eine halbe Stunde. Gesprächszeit? Lehrkraft: 1 Minute, Lernende: der gesamte Rest.
Einige Wochen später der zweite Versuch konkret zur Lektüre, ein paar Fragen als Anregung und wieder die Folie als Erinnerungsstütze. Diesmal musste ich schon weniger erinnern.
Beim dritten Versuch ging es noch besser. Den Schüler:innen hat es sehr gut gefallen.
In der Q2 (12. Schuljahr) lief es auch sehr gut, nur mit dem Auffordern klappte es dort nicht so gut und einige hielten sich komplett raus. Da werde ich beim nächsten Mal mehr drauf achten.
Warum ich Diskussionen noch nie so gut und transparent bewerten konnte...
Es ist ja fast offensichtlich... Da ich während des Gesprächs kaum etwas zu tun habe, kann ich mich ganz auf das Beobachten konzentrieren. Dazu fertigte ich schnell vor Ort einen Sitzplan des Vierecks. Nachdem ich das in einer anderen Anleitung gesehen hatte, zeichnete ich während der Diskussion mit dem Stift Bögen von einer sprechenden Person zur nächsten. Dazu schrieb ich kurze Buchstaben außen an die Namen:
- L für lange Antwort,
- F für Facilitate, also für einen Kommentar, der andere in die Diskussion einlud oder den Prozess verbesserte,
- S für schwach, fehlerhaft.
Nebenbei konnte ich sogar die Hauptargumente notieren, damit wir später damit weiter arbeiten konnten. Kurzum, es war eeeecht easy! Hinterher sah man gleich, bei wem die Spinnenfäden zusammenliefen, wer immer seiner Freundin den Ball zuspielte, wer sich ganz raushielt und wer besonders prozessverantwortlich war.
Eine interessante Beobachtung...
Ehrlich gesagt war mir nie aufgefallen, worauf wir die Lernenden im Unterricht drillen, bis ich sie bei der Harkness-Diskussion in einem authentischeren Rahmen beobachten konnte. Im Gespräch mit einer Schülerin wurde uns hinterher klar, dass sie in Bezug auf die Strategie "sich selbst und sein Wissen gut darstellen" sehr gut abgeschnitten hatte, und das verlangen wir ja durch die mündlichen Noten im Unterrichtsgespräch ständig, aber dass bei Harkness auch "gute Gesprächsführung und Moderation" wichtig sind und man nicht nur Vorträge halten sollte.
Diesen Umstand will ich mit den Lernenden beim nächsten Mal vor der Harkness-Diskussion ansprechen um Erwartungen zu klären. Es ist auch ein guter Anlass um die die Vor- und Nachteile sowie sinnvollen Kontexte beider Gesprächsstrategien zu klären. In einem Vorstellungsgespräch sollte man anders sprechen als im Teammeeting...
Fazit:
In der Oberstufe ist Harkness jetzt bei mir ein Standardelement. Spätestens alle zwei Monate möchte ich die Methode einsetzen um den Gesprächsanteil der Schüler:innen zu erhöhen und ihnen mehr Raum zu geben. Außerdem fördert die Harkness-Diskussion die Fähigkeit, geschickt in der Fremdsprache zu moderieren. Das werden sie meiner Ansicht nach später im Beruf eher brauchen als nur direkt Fragen zu beantworten und ihr Wissen zu zeigen.
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